Versteckspiel
„Wir haben zwei Ohren und einen Mund damit wir mehr hören als reden“
Nicht gerade ein Spruch den ein 10-jähriges, einseitig ertaubtes Mädchen gerne in Ihrem Poesiealbum liest, oder?
Gut, ich muss zugeben, meine damalige Lehrerin der 3. Klasse wusste mit aller höchster Wahrscheinlichkeit nichts von meiner Hörschädigung, genauso wenig wie mein ganzes weiteres Umfeld zu diesem Zeitpunkt.
Noch dazu war ich soweit ich mich erinnern kann und nach den Erzählungen meiner Eltern wohl ein sehr „geschwätziges“ (kommunikatives) Kind.
Dennoch hat mich dieser Spruch sehr geprägt, bis heute.
Ich wusste schon früh, dass ich „anders“ war und konnte dies auch gut verstecken…
Im zarten Alter von drei Jahren kam ich in den Kindergarten und merkte, dass ich das Spiel „Flüsterpost“ nicht leiden konnte, da ich das gesprochene Wort rechts verstand, links aber nicht.
Während meiner Schulzeit achtete ich immer sehr genau darauf, dass meine Banknachbarn rechts neben mir saßen.
Wenn Lehrer, Freunde oder Familienmitglied etwas zu mir sagten und ich etwas nicht verstand, fand ich immer eine andere Ausrede.
Entweder war ich zu müde, in Gedanken oder genervt irgendetwas fiel mir immer ein…
Den Satz „Geh doch mal zum HNO-Arzt und hol dir ein Hörgerät“ hab ich während meiner Schulzeit sehr häufig zu „Ohren“ bekommen. Aber ich redete mir ja ein es sei alles in Ordnung.
Dies gelang mir viele Jahre, ich schummelte mich also durch Kindergarten, Schule, Freundeskreis und Familie bis hin zur Ausbildung.
Dort fand mein jahrelanges „Versteckspiel“ mit mir selbst endlich ein Ende.
Alle in meiner damaligen Ausbildungspraxis dachten, ich sei nicht interessiert am Beruf (Zahnmedizinische Fachangestellte) oder ständig gelangweilt, ignorant, etc., alles weil ich oft einfach nicht reagierte.
Mein Ausbildungsplatz stand auf dem Spiel und das wollte ich keinesfalls!! So suchte mein damaliger Chef das Gespräch mit mir, er hatte mich „entlarvt“.
Es war ein riesengroßer Fels, der herunter brach, als ich mich ihm öffnen konnte und natürlich flossen viele Tränen.
Er schickte mich zu einem befreundeten HNO-Arzt und ich beschäftigte mich mit 18 Jahren das erste Mal mit meiner Hörschädigung und dem Thema einseitige Ertaubung.
Aber auch danach dauerte es noch viele weitere Jahre, bis ich anfing einigermaßen offen damit um zu gehen, denn sein Verhalten ändert man ja nicht so einfach von heute auf morgen. Noch dazu war es ja ein ziemlich ausgeklügeltes System in dem ich lebte.
Es fiel mir mit der Zeit aber immer leichter mit meiner Situation zurecht zu kommen.
Als irgendwann auch mein gesundes rechtes Ohr anfing schlechter zu werden, wusste ich, dass es so nicht weitergehen konnte und ich musste handeln.
Mit 27 entschied ich mich dann doch endlich für ein Cochlea Implantat auf der linken Seite und heute mit 30 bin ich froh, dass ich so bin wie ich bin.
Der Weg war zwar lang und ist nach wie vor steinig, aber es lohnt sich ihn zu gehen.
Ich durfte viele tolle Menschen kennen lernen und unvergessliche Momente mit ihnen erleben und vor allem kann ich endlich „stereo“ hören.
Ich lerne weiterhin die Welt mit beiden Ohren zu entdecken und freue mich auf das was mich mit meinem CI noch alles erwartet….
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