Mein Weg zum Cochlea Implantat
und in den Spitzensport!
1992 kamen mein Zwillingsbruder und ich zur Welt. Dass ich nichts hören konnte, habe ich für mich damals als kleines Kind normal empfunden, denn anders kannte ich es zu dem Zeitpunkt nicht. Mein Zwillingsbruder, der hörend geboren ist, fing an, sich zu artikulieren und aus mir kam kein richtig ausgesprochenes Wort.
Meine Mutter und ich waren in der Küche und sie ließ aus Versehen einen Teller fallen. Von mir kam keine Reaktion, sondern ich habe als Baby ganz normal weiter gespielt. Diese Situation hat dazu geführt, dass meine Eltern mit mir zu einem HNO-Arzt gegangen sind.
Da wurde festgestellt, dass ich von Geburt an gehörlos bin - und das erst im Alter von zweieinhalb Jahren. Für meine Eltern war das eine schwere Zeit, denn sie hatten bis dato keine Erfahrung mit einem hörbehinderten Kind. Seit ich mit Hörgeräten versorgt wurde, ist meine Mutter mit mir ein bis zwei Male die Woche zu einer Logopädin in Köln gefahren, um die Lautsprache zu erlernen.
Die ersten zweieinhalb Jahre meines Lebens habe ich für den Erwerb der Muttersprache verloren, die mit viel Mühe und Zeitaufwand nachgeholt werden mussten. Im Nachhinein bin ich sehr froh und dankbar, dass ich die Sprachtherapie gemacht habe, denn nur so kann ich eine normale Schule besuchen.
Meine Eltern haben mich gefördert, aber auch einiges von mir gefordert und korrigieren mich bis heute noch, wenn ich was Falsches sage. Wie sagt man so schön: aus Fehlern lernt man am besten.
Das Jahr 2000 war ein wichtiger Meilenstein meines Lebens, nämlich die erste Implantation des CIs in Bochum. An die Zeit kann ich mich noch erinnern, wie sehr ich als 8-Jährige gegen die OP rebelliert habe. Ich hatte Angst und war völlig überfordert mit dem, was auf mich zukommen würde. Da wurden auch viele Tränen vergossen, aber nach der OP und der Erstanpassung war alles vergessen.
Der schönste Moment für mich war, dass ich mit dem CI Geräusche wahrnahm, die ich vorher mit Hörgeräten nie gehört habe. Für mich war es anfänglich eine Herausforderung, die neuen Töne zuzuordnen. Mit der ambulanten Reha und der Zeit verbesserten sich meine Lautsprache und mein Sprachverständnis merklich.
Dies führte dazu, dass meine Eltern und ich uns für ein zweites CI entschieden haben. Seit 2001 bin ich bilateral mit Cochlea-Implantaten von der Firma MedEl versorgt.
In der 4. Klasse fanden in meiner Grundschule in der Heimat Bundesjugendspiele statt und ich schloss da als bestes Mädchen ab. Wenige Monate später haben meine Eltern mich in einem Verein in Dormagen, etwa 30km von meiner Heimatstadt entfernt und mit einer Stunde Busfahrt zu erreichen, angemeldet.
Ich habe die langen Fahrten trotzdem gerne in Kauf genommen, denn nach einem anstrengenden Hör-Tag konnte ich mich beim Training austoben und neue Leute kennenlernen. Mit der Zeit nahm mein Trainingspensum von Jahr zu Jahr zu und ich habe früh angefangen, Wettkämpfe zu bestreiten, um mich mit anderen zu messen.
2009 habe ich als Klassen- und Jahrgangsbeste in der Regel-Realschule Mittlere Reife erworben und entschloss mich dazu, Abitur zu machen. Auch da wollte ich keine Sonderschule besuchen, sondern ein sportbetontes Gymnasium in Dormagen.
Nur so bekam ich die Möglichkeit, meine Sportskarriere weiter fortsetzen zu können. Mein Verein und die Schule haben zusammengearbeitet, so dass ich nach der Schule mit vereinseigenem Bus abgeholt und zum Mittagessen und der Hausaufgabenbetreuung auf Vereinsgelände gebracht wurde.
In der Oberstufe wählte ich Sport als Leistungskurs und bin 2012 mit Abi-Schnitt von 2,7 aus der Schule entlassen worden. Danach machte ich zur beruflichen Orientierung ein freiwilliges soziales Jahr im Sport beim Landessportbund NRW.
Währenddessen entschied ich, Sport zu studieren. Vier Monate lang habe ich für die Sporteignungsprüfung trainiert, die ich auch mit nur einem Defizit bestand. Im April 2013 startete ich mit dem Sportstudium an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
2016 ging es nach dem Bachelor nach Bochum an die sportwissenschaftliche Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, um dort ein Masterstudium zu beginnen. Jetzt stehe ich kurz vor dem Ende des Masterstudiums und blicke auf eine Zeit mit Hochs und Tiefs zurück.
Ich bin sehr froh, dass ich von Seiten meiner Eltern, Brüder u engen Freunde viel Unterstützung und Rückendeckung erfahren habe. Auch verdanke ich meine Eltern viel, denn mit der Implantation zweier CIs und intensiver Sprachtherapie haben sie mir die Möglichkeit gegeben, ein nahezu normales Leben zu führen.
Trotzdem bin ich auch glücklich, dass ich seit 2006 in der Gehörlosenwelt sportlich aktiv bin - denn auch dort bin ich auf tolle Menschen gestoßen. Mein Ex-Trainer in Dormagen hat seinerzeit mein Potenzial im leichtathletischen Mehrkampf entdeckt und hat mich sehr gut gefördert, weshalb ich ihm mit dem Gewinn der ersten internationalen Medaille im Jahre 2012 auch viel zu verdanken habe.
2015 bin ich Vizeeuropameisterin im Siebenkampf geworden und habe die magische Marke von 4000 Punkten endlich geknackt. Zwei Jahre später bei den Deaflympics in Samsun letzten Jahres habe ich überraschend Bronze im Siebenkampf gewonnen, obwohl ich keine einfache Zeit mit Training und Unistress hatte.
Der Leistungssport hat einen bedeutenden Beitrag zu meiner Persönlichkeitsentwicklung gegeben, denn in den schweren Phasen mit Niederlage und Verletzung habe ich gelernt, damit konstruktiv umzugehen und nicht gleich aufzugeben.
Mit meiner Geschichte möchte ich anderen jungen Menschen Mut machen, ihren Weg weiter zu gehen und aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, ein Haus zu bauen!
April 2018
Felicitas Merker