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Hören heißt dazu gehören…

„Hören heißt dazu gehören“ - diese Aussage ziert die Wand in einem der Therapieräume in der Bosenbergklinik in St. Wendel. Ist an dieser Aussage nicht viel Wahres dran? Ich kann dem nur zustimmen und es für mich umformulieren „CIs heißen dazu gehören“. Dazu gehören, weil man wieder etwas hören kann; dazu gehören aber auch zu einer ganz besonderen Community in der man sich austauscht, unterstützt, aufklärt, der eine es leichter hat als der andere und man zusammenhält (jedenfalls habe ich dies auf meinem CI-Weg bis jetzt so erfahren). Zu meiner Geschichte: ich heiße Valerie, bin Jahrgang 1984, trage seit November 2016 auf beiden Ohren MED-EL Sonnet und komme aus der Ecke Frankfurt am Main.
 
Im Alter von vier Jahren bin ich an Meningitis erkrankt und war seitdem auf dem rechten Ohr komplett taub und auf dem linken Ohr mittelgradig schwerhörig bei gleichzeitigem Verlust des Gleichgewichtssinns. Jahrelang bin ich super mit Hörgeräten gefahren und seit meiner Jugend auch nur mit einem auf der linken Seite. Trotz meiner Hörbehinderung konnte ich eine normale Schule besuchen und im Ausland studieren (dies habe ich besonders der tatkräftigen Förderung und Unterstützung meiner Eltern zu verdanken) und fühlte mich mit nur einem Ohr nicht sonderlich eingeschränkt, denn ich kannte es einfach nicht anders. Damals war ich ziemlich „Anti-Hörgerät“ eingestellt. Die Haare wurden immer über die Ohren getragen, viel darüber sprechen wollte ich nicht und es wusste nur der engste Freundeskreis Bescheid. Ich hatte nicht sonderlich Kontakt zu Gleichgesinnten und oft wünschte ich mir, nicht auf mein Hörgerät angewiesen sein zu müssen.
 
Über die letzten Jahre hat sich mein linkes Ohr in Verbindung mit Tinnitus, Hörstürzen und Hyperakusis derart verschlechtert. Es war ein schleichender Prozess, den ich erstmal nicht akzeptieren wollte und konnte. So sehr ich es mir wünschte, ich kam mit dem stärksten Hörgerät nicht mehr zurecht – alles klang verzerrt, telefonieren, TV gucken etc. waren nicht mehr möglich, Gespräche und den Alltag konnte ich nur unter größter Anstrengung und mit Mundbild „meistern“. Nach monatelangem Zweifeln, Angst und vielen Fragen (CIs kann man eben nicht mal schnell wie Hörgeräte ausprobieren, eine OP am Kopf ist notwendig, CIs sind hässlich und der Hörerfolg fordert viel Geduld und Training, wenn er denn überhaupt eintritt, usw.) entschloss ich mich schweren Herzens für eine bilaterale OP im Uniklinikum Mainz.
 
Die Entscheidung für eine bilaterale OP war eine Trotzreaktion meinerseits: ganz oder gar nicht, du hast eh nicht mehr viel zu verlieren, ich wollte mich nicht zweimal auf den OP-Tisch legen und frei nach dem Motto „wenn es schief geht kannst du wenigstens sagen, du hast es versucht“. Im Nachhinein muss ich sagen, dass die Entscheidung für eine Implantation die bis jetzt schwerste meines CI-Weges war, aber auch eine verdammt Gute.
 
Nach der OP schmerzte der Kopf, der Druckverband störte, ich konnte nicht liegen geschweige schlafen und das Essen schmeckte manchmal komisch und Kauen war schmerzhaft - natürlich die perfekten Gegebenheiten, um Zweifel aufkommen zu lassen ob die Implantation richtig war. Meine Prozessoren wurden gleichzeitig und zu meiner Überraschung nur vier Tage nach der OP eingeschaltet. Die ganze Zeit hatte ich meine Erwartungshaltung für das Anschalten auf ein Minimum reduziert, um nicht enttäuscht zu werden. Außerdem hatte mein eines Ohr 28 Jahren lang nichts gehört. Trotzdem verschlang ich online Erfahrungsberichte über das erste Hören mit CIs und wünschte mir still und heimlich, dass ich gleich nach dem Einschalten etwas verstehen kann. Ich wurde nicht enttäuscht und obwohl alles etwas gewöhnungsbedürftig klang und die Prozessoren noch nicht sonderlich laut waren, konnte ich mich doch schon relativ gut und viel entspannter unterhalten, das Mundbild ist dabei natürlich nicht außer Acht zu lassen. Seit diesem Tag lebe ich ein neues Leben/bin ein neuer Mensch.
 
Sicherlich musste ein paar Mal eingestellt werden, es werden auch immer wieder Einstellungen nötig sein. Es ist noch nicht alles perfekt (wenn man dies überhaupt erwarten kann), ich erreiche in den Hörtests mit CIs keine 100%. Man muss das Hören neu erlernen und sollte Zeit in eine CI-Reha investieren (ich war vier Wochen stationär in St. Wendel). Mein rechtes Ohr ist noch um einiges schwächer als das Linke und ich muss regelmäßig üben. ABER ich kann mich wieder unterhalten und ich höre Dinge, die ich vorher nie gehört habe. Eines meiner persönlichen Highlights war mein einjähriges Patenkind deutlich Brabbeln zu hören. Total verwundert hat es mich, wie geräuschvoll es ist, wenn wir unsere Füße beim Laufen auf den Boden setzen - das konnte ich mit Hörgerät nicht hören. Das Telefonieren geht mit dem linken Ohr auch. Am Wichtigsten ist aber, dass ich mich wieder in der Lage fühle ein selbstständiges Leben zu führen und das Leben zu genießen.
 
Seit meiner Implantation habe ich so viele CI-Träger, Ärzte und Therapeuten kennengelernt. Der Austausch mit anderen hat mir unheimlich viel gebracht. Auch werde ich unheimlich gerne auf meine CIs angesprochen. Sicherlich war ich jemand, der einen einfachen Start mit den CIs hatte, ich habe andere Fälle kennengelernt.
 
Trotzdem ist meine Begeisterung für das Thema CIs grenzenlos und jede individuelle Hörbiografie verdient meinen höchsten Respekt. Ich möchte anderen Mut machen und gerne etwas zurückgeben. Neben der Selbsthilfe ist es mein Wunsch mich auch beruflich in diesem Bereich zu etablieren, ganz nach dem Motto „hören heißt dazu gehören“.
 
Das war es jetzt erstmal von mir. Für Ideen, Fragen, Anregungen, Austausch aber auch Kritik stehe ich jeder Zeit sehr gerne unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! zur Verfügung.
Ich freue mich von euch zu HÖREN
 
Valerie Pestinger
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