Juliana angekommen im Reich der Töne - Harburger Anzeiger und Nachrichten vom 14.10.2004
Juliana angekommen im Reich der Töne
Hochtechnologie hilft siebenjährigem gehörlosen Mädchen aus Trelde
Von Edith Lund
Trelde. Juliana ist eine quietschlebendige Siebenjährige. Munter plappernd teilt sie sich ihrer Umwelt mit, stellt "Attila", den verschmusten Familienhund vor, ruft nach ihrer Mutter, muß unbedingt schnell mit ihrem Opa telefonieren. Nichts unterscheidet die fröhliche Kleine aus Trelde von Gleichaltrigen. Nur, wenn Julianas Gesprächspartner zu schnell reden, wird ihr Handicap spürbar. Dann wird ihr Gesicht ernst, und mit Nachdruck in der Stimme fordert sie: "Du mußt langsamer sprechen."
Juliana kann nur Menschen verstehen, die sich klar und vernehmbar ausdrücken. Denn sie hört über ein winziges, in den Kopf eingepflanztes Gerät. Das kann keine Staccato-Sätze und kein Genuschel korrekt aufnehmen. Es verlangt nach deutlicher Aussprache. Juliana, das einzige Kind von Anna-Carina und Andreas König, ist gehörlos zur Welt gekommen. Aber jetzt ist sie CI-Trägerin, und das ist fast so gut wie angeborene Hörfähigkeit.
Daß sich Juliana wie ein "normales" Kind entwickeln konnte, hat sie der Hochtechnologie zu verdanken, die seit fünf Jahren in ihrem Kopf sitzt: das Cochlea-Implantat, kurz CI genannt. Bei Juliana ist es am pinkfarbenen Knopf mit dünnem Kabel zu erkennen, der neben ihrem linken Ohr wie festgemeißelt sitzt und doch ganz leicht abzunehmen ist, weil er über einen Magneten mit dem Gerät in ihrem Kopf verbunden ist. Ein weiteres Teil von der Größe eines Handys trägt sie an der Taille. Zu diesem Gerät führt das Kabel. Alles zusammen bildet die CI-Ausstattung, die sich teils im Kopf befindet, teils am Körper getragen wird. Eine kaum erkennbare feine Narbe am Haaransatz ist als sichtbares Zeichen für den chirurgischen Eingriff geblieben.
"Der dauerte vier Stunden", berichtet Anna-Carina König. Das war im April 1999 im Cochlea-Implant-Centrum "Wilhelm Hirte" in Hannover. Dort erlernte die damals zweijährige Juliana auch die ersten Wahrnehmungschritte ("Wie macht die Kuh?") mit ihrem CI, machte unter anderem Atem-, Sprech- und Stimmtherapie. Unvergessen bleibt ihrer Mutter der Tag, an dem sie sie an eine vielbefahrene Straße mitnahm. Da blieb das kleine Mädchen wie angewurzelt stehen: "Sie hat einfach nichts mehr wahrgenommen." Von den vielen Geräuschen sei sie wie gelähmt erschienen, sagt Anna-Carina König: "Welche Eindrücke da wohl auf Juliana niedergeprasselt sind?!" Eine Woche nach dem Eingriff waren Mutter und Tochter wieder zu Hause.
Das vergnügte blonde Mädchen aus Trelde macht seither Riesenfortschritte in der Entwicklung, unterstützt von Fachleuten des Hamburger Schwerhörigen-Kindergartens und der dortigen Schule für Hörgeschädigte sowie des Cochlea-Implant-Centrums. Juliana lernte Hören und damit auch Sprechen. Inzwischen ist sie vollständig angekommen in der Welt der Töne. Nur im Wasser darf sie die Außen-Geräte nicht tragen. Zum Schlafen legt sie sie ebenfalls ab weil dann die Akkus aufgeladen werden. Dann kehrt sie zurück in die Geräuschlosigkeit, in die sie hineingeboren wurde und in der sie ohne das CI für immer gefangen wäre.
Quelle: Harburger Anzeigen und Nachrichten
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