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Wer nicht hören kann muss fühlen - Medical Tribune vom 13.02.2006

Wer nicht hören kann, muss fühlen

Medical Tribune Bericht 

Schwerhörige leiden oft unter der großen täglichen Anstrengung mit anderen zu kommunizieren. Die Baumrainklinik hat sich spezialisiert. 

„Wollen Sie wirklich über das Thema Schwerhörigkeit schreiben? Meinen Sie, das interessiert Ihre Leser?“, fragt uns Chefarzt Dr. Roland Zeh leicht provozierend, als wir mit Notizblock und Kamera Platz genommen hatten. Die Erklärung für seine gezielte Verunsicherung lieferte er im Nachsatz: „Wenn ich einen Vortrag über Tinnitus halte, ist der Saal immer berstend voll. Wenn es um Schwerhörigkeit geht, sitzen höchstens drei Leute da ...“ 

Schwerhörige nicken oft einfach, ohne alles verstanden zu haben.

Denn obwohl 14 Millionen Menschen in Deutschland an Hörstörungen leiden, wird die Krankheit – anders als die quälenden Ohrgeräusche bei einem Tinnitus – vielfach gar nicht wahrgenommen, verdrängt oder verheimlicht. 
 
Schwerhörige wollen vor sich selbst oder anderen nicht zugeben, dass sie eine Behinderung haben, erklärt Dr. Zeh. Da man Ihnen ihr Problem – anders als einem Blinden oder querschnittsgelähmten Menschen – nicht unmittelbar ansieht, versuchen sie lange Zeit, die Sache zu überspielen: Sie nicken einfach im Dialog mit anderen Menschen, ohne alles verstanden zu haben. Sie weichen Antworten aus oder begeben sich – wenn das schlechte Hören nicht mehr zu verbergen ist – in eine folgenschwere soziale Isolierung. 
 
Die Patienten, die zu Dr. Zeh zur Kur in die Baumrainklinik Bad Berleburg kommen, leiden oftmals an starken Erschöpfungszuständen. Das ist kein Wunder, meint er. „Stellen Sie sich doch mal vor, wie anstrengend der Alltag für Schwerhörige ist. Schwerhörigkeit behindert rund um die Uhr. Wenn ein Hörgeschädigter ins Kino geht, muss er sich jede Sekunde des Films maximal konzentrieren, um folgen zu können. Ein Mensch im Rollstuhl dagegen merkt seine Behinderung nur auf dem Weg ins Kino, aber nicht während des ganzen Films.“ 

Schwerhörigkeit behindert rund um die Uhr.

Woran erkennt man, wenn jemand schwerhörig wird? In den frühen Stadien merken viele Betroffene gar nichts, die Krankheit verläuft allmählich, erklärt Dr. Zeh. Meist sind es die Angehörigen, die irgendwann feststellen, dass der Fernseher immer lauter gestellt wird oder dass Großvater oft erst beim zweiten Mal reagiert, wenn man ihn anspricht. 
 
Dann ist das Absterben der Hörzellen aber oft schon fortgeschritten. Im Frühstadium einer Schwerhörigkeit findet sich hingegen oft ein paradoxes Phänomen. Die Betroffenen reagieren empfindlicher als Gesunde auf Geräusche, das Attribut „zu laut“ trifft für sie schon bei Schalldrücken zu, die Gesunde als absolut angenehm empfinden. Der Grund: Die Regulation der Annehmlichkeitsschwelle ist gestört, und das ist oft eine der ersten Veränderungen im Verlauf einer Schwerhörigkeit, erklärt Dr. Zeh. 
 
Da die Krankheit wenig „populär“ ist, lässt insgesamt auch die medizinische Versorgung hörgeschädigter Menschen in Deutschland zu wünschen übrig. Von zehn Betroffenen, die medizinisch betrachtet ein Hörgerät benötigen würden, wurde nur zweien tatsächlich eines angepasst. Da die gründliche Prüfung des Hörvermögens leider nicht zum üblichen Gesundheits-Check gehört, muss die Initiative von den Betroffenen selbst kommen. Wichtig ist, dass HNO-Ärzte und Hörgeräte-Akkustiker zusammenarbeiten und die Patienten das richtige Hörgerät bekommen, das dann vor allem auch optimal eingestellt werden muss. „Wir erleben immer wieder, dass die Möglichkeiten des Gerätes bei weitem nicht ausgeschöpft sind, Oft sind die Geräte zu leise eingestellt“, so Dr. Zeh. 

Die Möglichkeiten von Hörgeräten werden oft nicht ausgeschöpft.

Und warum benötigen Patienten mit Hörstörungen eine Rehabilitation und kommen in die Baumrainklinik? Eine Schwerhörigkeit führt oft auch zu psychosomatischen Folgeerkrankungen, das heißt die Betroffenen leiden unabhängig von der Schädigung des Hörorgans an seelischen Begleitproblemen wie Erschöpfung und Burn-out-Syndrom, Unsicherheiten und sozialer Isolation. 
 
„Wenn ein schwerhöriger Patient zur Reha zu uns kommt, muss er sich in der ersten Woche zunächst vor allem erholen und die ausgezehrten Kraftreserven auffüllen.“ Parallel erarbeitet ein großes Team von Fachleuten einen persönlichen Behandlungsplan, in dem die Therapieziele und die dazu notwendigen Maßnahmen festgelegt werden. In diesem Team arbeiten Ärzte, Logopäden, Psychologen, Akustiker, Audiologen, Gebärdensprachdolmetscher, Sporttherapeuten, Ernährungsfachleute und Krankengymnasten eng zusammen, damit die mehrwöchige Zeit der Rehabilitation für den Betroffenen den gewünschten Erfolg bringt.
 
„Ziel der gesamten Therapie ist vor allem die Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und des seelischen und körperlichen Wohlbefindens“, erklärt Dr. Zeh. Die Betroffenen sollen ihre Kommunikationsfähigkeit verbessern, in dem sie z.B. spezielle Hör-Taktiken und nonverbale Techniken wie Lippenlesen erlernen. Und einfache Tricks im Miteinander, z.B. dass das Gesicht eines Gesprächspartners möglichst im Licht und nicht im Schatten liegen sollte, um die Mimik und Lippenbewegungen besser verfolgen zu können. 
 
Ganz wichtig und für viele das größte Problem: die eigene Schwerhörigkeit zu akzeptieren. Und so lernt man in der Reha, selbstbewusster mit der Hörschwäche umzugehen. Auch Begleitbeschwerden wie Verspannungen und Schlafstörungen werden behandelt. 
 
Überhaupt ist die Baumrainklinik ganz und gar auf Menschen mit Hörschäden eingestellt. So findet man an vielen Behandlungsräumen das Symbol einer stilisierten Hand, was bedeutet, dass der Mitarbeiter Gebärdensprache beherrscht. 

In der ersten Woche bei uns füllt ein Schwerhöriger seine Kraftreserven auf.

Klingelt jemand an der Tür des Krankenzimmers blinkt gleichzeitig ein Licht auf – das geeignetere Signal eben für Hörgeschädigte. Auch kommen Hörgeschädigte zur Reha anderer Erkrankungen, z.B. Rheuma oder Herzkreislaufleiden, nach Bad Berleburg, weil man dort die Hörbehinderung in den Therapieablauf einplant. 
 
Noch eine Besonderheit hat die Klinik mit dem reizmilden Klima am Rande des Rothaargebirges: Ihr Chefarzt Dr. Zeh ist selbst hörgeschädigt und weiß daher viel besser als seine gesunden Kollegen, wovon er redet, und strahlt größtmögliche Glaubwürdigkeit aus. Im Alter von sieben Jahren ist er nach einer Gehirnhautentzündung taub geworden. Trotz der massiven Behinderung bewältigte er Medizinstudium und Facharztausbildung zum Hals-Nasen-Ohrenarzt. 
 
Vor sieben Jahren wurden ihm so genannte Cochlea-Implantate eingepflanzt – moderne Mikrochips, die sozusagen die Funktion abgestorbener Hörzellen übernehmen. Die Operationen waren erfolgreich und Dr. Zeh lernte von neuem zu hören und auch, seine Sprache deutlich zu verbessern. Dankbar für die „neue Welt“, die sich ihm eröffnete, setzt er sein ganzes Wissen und seine persönliche Erfahrung heute für eine bessere medizinische Versorgung hörgeschädigter Menschen ein. Und er macht keinen Hehl daraus, wie viel Freude ihm seine Arbeit macht. 
 
Quelle: http://www.medical-tribune.de/patienten/
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