Zum Hauptinhalt springen

… und alles ist gut – anders, aber gut anders

Von Anja B.

Die ist eine Fortsetzung meines Erfahrungsberichts vom September 2020, der zu finden ist unter https://www.ohrenseite.info/erfahrungsberichte/497-hoeren-2-0-mein-weg-zum-ci-i-bericht-teil-1

Nach einem zunehmend anstrengender werdenden Weg anfangs mit Hörgerät, irgendwann ohne Hörgerät, weil es mir nichts mehr brachte, fand ich mich im September 2019 auf dem OP-Tisch wieder, um mich mit einem CI versorgen zu lassen.

Mehrere Hörstürze hatten mich auf dem linken Ohr bis zur an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit gebracht, was mich in meinem Beruf als Lehrerin dann zunehmend an die Grenzen meiner Belastbarkeit brachte. Im Klassenraum war das Gespräch mit nicht direkt vor mir sitzenden Schüler*innen je nach Stimmhöhe und -stärke oft zu einem Ratespiel geworden; sprachen mich Schüler*innen während Arbeitsphasen von irgendwoher an, musste ich nicht selten nach einem Gesicht schauen, das mich erwartungsvoll anschaute, denn die Richtung der Ansprache konnte ich nicht ansatzweise mehr erkennen. Die Schüler*innen waren oft so nett und winkten mir zusätzlich, aber der ständige Such-Modus war sehr anstrengend.

Ähnliche Probleme zeigten sich auch im Privatleben: ständig auf der Suche nach dem Telefon, die Bitte an Gesprächspartner, etwas zu wiederholen, in Dauerschleife, bei Gruppengesprächen mit Freunden in lauter Umgebung eher nur stille Beisitzerin statt Gesprächsteilnehmerin, gekrönt durch Aussagen wie „Du musst akzeptieren, dass die anderen guthörend sind“.

Am 20.09.19 bekam ich also endlich mein Implantat in der Uniklinik Essen. Die erste Zeit war wie bei wahrscheinlich vielen etwas unangenehm und seltsam. Ich hatte auf einmal ständig Sorge um meinen Kopf, der sich nun auch so ungewohnt anfühlte. Tagelang habe ich geübt, immer ein bisschen länger auf der operierten Seite zu liegen und die Implantatstelle anfassen konnte ich zu der Zeit auch nicht.

Eine große Umstellung war auch die nun eingetretene komplette Stille auf der Seite, hatte ich doch mein Restgehör bei den lauten tiefen Tönen durch die Operation verloren. Wenn ich nun auf der hörenden Seite lag, war ich im Hör-Nichts. Während ich mir jahrelang Stille und Ruhe vor meinem rauschenden Tinnitus gewünscht hatte, war ich plötzlich wie abgekapselt. Heute komme ich damit gut klar, finde es manchmal sogar ganz praktisch, dass ich je nach Position entscheiden kann, ob ich etwas hören möchte oder nicht.

Einen Monat später erfolgte dann die von mir gefürchtete Erstanpassung. Nachdem ich viele YouTube-Videos von Erstanpassungen gesehen hatte und mir Simulationen vom Hören mit CI angehört hatte, war ich recht angespannt und befürchtete, dass es sehr unangenehm werden könnte. Es war dann aber ganz anders, kein Knall im Kopf, keine Roboterstimmen, nur ein ungewohntes rhythmisches Dröhnen.

Mein Hörtraining sollte erst fünf Wochen später losgehen, ich hatte ja auch erst ein eher leises Programm mit der Möglichkeit auf Steigerung der Lautstärke. Weil ich aber etwas ‚tun‘ wollte, habe ich dann mit ersten eigenen Übungen angefangen, Apps und langsam gesprochene Hörbücher mit dem Text zum Mitlesen. Um mein CI gezielt anzusprechen, waren und sind meine Übungen in der Regel über Streaming.

Mit den Wochen und dem regelmäßigen Training wurde es immer besser, aus den „Nackfusen“ wurden „Matrosen“, das Rätsel um den „Widding“ („Hering“) und den „Wilticker“ („Elektriker“) konnte gelöst werden.

Und die Schule? Zum Glück hatte ich einen einfühlsamen und kooperativen HNO-Arzt, der mir schon vor der OP sagte, ich solle dann wieder beginnen zu arbeiten, wenn ich mich bereit fühlte. Ich weiß, dass viele dieses Glück nicht haben; umso mehr wollte ich die Zeit aber auch nutzen und mich so gut es irgendwie ging, vorbereiten.

In der Zwischenzeit hatte ich mein Training immer wieder verändert. Beim Hörtraining im CI-Zentrum, in dem wir zunächst mit FM-Anlage und Trainerin im anderen Raum geübt hatten, waren wir irgendwann zum Training im Störlärm übergegangen. Mein Verstehen wurde immer besser, aber die Erinnerung an die Schwierigkeiten im Störlärm aus der Zeit vor der OP ließ mich nicht los, sodass ich mir immer weitere Übungen zum Training zuhause ausdachte und auch am Silbenverständnis gearbeitet habe.

Mein CI-Ohr kam mir vor, wie ein kleiner Bruder, der an der Hand des großen Bruders überall mit hingenommen wird und eher unbeholfen und natürlich nicht so gut wie sein großer Bruder handelt. Der große Bruder war bei den Übungen immer wieder Hilfe und Korrektiv, sprang zur Not zur Kontrolle ein, wenn ein Wort partout nicht zu verstehen war und ‚sagte‘ beim Kontrollhören dem kleinen Bruder kurz vor. Er war es auch, der hin und wieder bei Streaming sagte, dass sich die Stimmen in echt doch viel schöner anhören oder aber auch sagte, dass die Stimme tiefer ist, was dem Gehirn dann anscheinend geholfen hat, die Wahrnehmung der Stimmhöhen auf der CI-Seite zu senken.

Nach monatelangem Training kam dann also der irgendwann doch insgeheim herbeigesehnte erste Arbeitstag – am Computer. Das Corona-Virus hatte plötzlich alles auf den Kopf gestellt, die Schulen waren geschlossen, die Schüler*innen wurden zuhause beschult. In dem vorangegangenen BEM-Gespräch hatte ich die Bedingungen meiner Wiedereingliederung und zukünftigen Arbeit klären können – und konnte zunächst davon so gut wie nichts umsetzen.

Statt steigender Gewöhnung an die Belastung im Schulgebäude und den Lärm von an die 1000 Schüler*innen um mich herum, saß ich weiterhin zuhause und führte in Abständen Videokonferenzen durch und erstellte Arbeitsmaterial. Als dann die Schulen wieder teilweise geöffnet wurden, kamen mir die reduzierten Klassengrößen und die reduzierte Schüleranzahl im Gebäude entgegen und ich konnte mich erproben.

In der Zwischenzeit war das CI für mich natürlicher Bestandteil des Tages geworden, ich vergaß das CI meistens sogar und wurde nur durch den Akku-Warnton an mein Elektro-Ohr erinnert.

Nach den Sommerferien startete dann der normale Schulbetrieb mit allen Schülern – und der Maskenpflicht. Schon zuvor hatte ich beim Einkaufen und in anderen Situationen bemerkt, dass mich der verdeckte Mund teilweise enorm einschränkte bzw. unter Druck setzte. Im Supermarkt war ich dazu übergegangen, mir einen Anstecker mit Hinweis auf meine Schwerhörigkeit anzuheften, aber in der Schule war so etwas nicht praktikabel.

Um es mir so weit wie möglich zu erleichtern, war und ist vom Schulbeginn an eine Packung mit OP-Masken mein Begleiter in der Schule, von denen ich den Schülern mit stark schallschluckenden Stoffmasken dann immer eine anbot. In der Schule habe ich einen eigenen Raum bekommen, in dem ich die Tische so stellen konnte, wie es für mich am besten ist – nämlich nach vorne ausgerichtet –, zusätzlich wurden sog. SilentPictures, also Dämmpaneele, an der hinteren Wand angebracht. Diese konnten allerdings derzeit aufgrund der dauernd geöffneten Fenster und der ständig geöffneten Tür ihr Potenzial nicht so recht entfalten.

Trotzdem kam und komme ich tausendmal besser zurecht als vor der OP. Würden die Stimmen nicht durch Masken gedämmt und die Mundbilder verdeckt, müsste ich wahrscheinlich noch weniger nachfragen und könnte die Richtung der Stimmen noch besser zuordnen. Vor einigen Monaten habe ich glücklicherweise eine Soundfield-Anlage mit einer größeren Anzahl an Handmikrofonen und einem Teil zum Streamen auf meinen Soundprozessor für den Unterricht bekommen. Das erleichtert das unterrichten sehr, da die gedämpften Stimmen für mich meistens wieder gut hörbar werden.

In der Zeit, in der ich durch den Wechselunterricht von Raum zu Raum ziehen musste, habe ich die Anlage oft stehen gelassen. Die Zeit, die Mikros in einem Raum ab- und im nächsten Raum wiederaufzubauen, zusätzlich zur Desinfektion der Teile, hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen. Diese Phase war ziemlich schwierig.

Insgesamt verzeichne ich eine deutliche Besserung: Ich höre wieder (meistens), wenn beim Radfahren hinter mir ein Auto fährt, finde mein Telefon (fast immer) auf Anhieb und kann mich auch bei Umgebungslärm deutlich besser und länger unterhalten.

Mühelos bewältige ich das natürlich nicht, an manchen Tagen bin ich abends ziemlich geschafft. Aber mein Kopf ist wieder „an“, ich bin wieder „vollständig. Im September feiere ich meinen zweiten CI-Geburtstag. Ich bin froh, dass ich die Möglichkeit auf das CI hatte.  Alles ist gut, anders, aber gut anders 

Juli 2021
Anja B.