Warum sogar die „Pause“
anstrengend für Hörgeschädigte ist
Von Julia Dittmann
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Hallo ihr lieben Leser/innen,
in diesem Blog geht es mal um ein etwas anderes Thema. Es geht darum zu beschreiben, dass es im gewöhnlichen Alltag viele verschiedene Situationen gibt, die die Kommunikation und das Verständnis bei hörbeeinträchtigen Menschen sehr einschränken können.
Nach Gesprächen mit Freunden, die ebenfalls CI-Träger sind oder Hörgeräte tragen, fällt deutlich auf, dass auch sie häufig diesen Momenten begegnen, in denen das sichere Verstehen erschwert wird: Feierlichkeiten in einer großen Runde, Gruppenarbeiten in der Schule oder im Studium sowie eine ganz normale Uni-Vorlesung. Auch am Bahnhof ist das Verstehen der Durchsagen häufig eingeschränkter oder Gesprächsinhalte in Cafés/Restaurants. Sogar ganz gewöhnliche „Pausen“ können dazugezählt werden. „Pausen“ die eigentlich dazu dienen, eine kurze Auszeit vom (stressigen) Alltag zu bekommen.
In den nächsten Abschnitten möchte ich gerne versuchen, zu beschreiben, wie sich diese Situationen für mich (und bestimmt für viele andere Gleichgesinnte) anfühlen. Denn ich denke, viele Außenstehende (Menschen ohne Hörbeeinträchtigung) sind sich oft nicht bewusst, wie schwierig und anstrengend solche Momente für uns sind. Es gibt sicherlich Normalhörende, die sich denken: „Wie, du verstehst nichts? Du bist doch operiert, dann bist du doch geheilt.“ Diese Frage kann ich hiermit beantworten: NEIN, sind wir nicht! Hörgeräte oder CIs sind technische Hilfsmittel, die aber auch sehr schnell an ihre Grenzen kommen können. Meistens kann nur ein Mix aus Geräuschen wahrgenommen und Stimmen bzw. relevante Informationen nicht herausgefiltert werden.
Nun geht’s zurück zur „Pausen“-Situation:
Meistens verabredet man sich für diesen kurzen Zeitraum mit Kollegen/Kommilitonen/Mitschülern und geht zusammen beispielsweise in die Cafeteria. Dort sitzt man mit ihnen und weiteren Menschen in einem Raum, wo innerhalb der kurzen Zeit relativ viele Themen angesprochen, Witze erzählt, Termine vereinbart, Informationen ausgetauscht werden und noch vieles mehr. Insgesamt ist die Stimmung heiter, locker und fröhlich: mal wird gelacht, geneckt, geschimpft oder auch diskutiert. Mal reden alle durcheinander oder es redet eine einzelne Person, während die anderen zuhören.
Mitten darunter: Ich.
Die ganze Zeit über versuche ich angestrengt und konzentriert der Unterhaltung zu folgen, was mir jedoch nicht durchgehend gelingt. Manchmal hängt dies auch von der Tagesverfassung ab: Mal höre und verstehe ich mehr, mal weniger. Insgesamt möchte ich nicht dumm, begriffsstutzig oder unaufmerksam wirken und den Gesprächsfluss ständig stören, sodass ich nicht immer nachfrage, wenn ich etwas nicht verstanden habe. Obwohl ich mich die ganze Zeit eigentlich total unwohl fühle und gerne etwas zum Gespräch beitragen möchte, versuche ich, zumindest nach außen hin, Selbstbewusstsein auszustrahlen und frage mich ständig, ob es mir überhaupt gelingt.
Da ich weiß, dass auch normalhörende Leser/innen diesen Blog lesen, versuche ich die Situation einmal zu erklären: Wie bereits oben erwähnt wurde, vermischt sich das Gesagte mit den Neben-/Hintergrundgeräuschen und es wird häufig nur ein Lärmgemisch wahrgenommen. Hin und wieder versteht man einzelne Wortfetzen bzw. Bruchstücke und die ganze Zeit ist mein Gehirn ständig mit Hören, Lippenabsehen und Kombinieren des Wahrgenommenen beschäftigt. Manchmal gelingt es mir, aus den einzelnen Wortfetzen einen Satz zu formen, der irgendwie Sinn ergibt. Dies ist jedoch sehr anstrengend sowie zeit- und kraftaufwändig, weil nicht jede Information richtig herausgefiltert werden kann. Nicht nur das bruchstückhafte Verstehen erschwert das Verständnis, sondern auch die ständigen Sprecher-/Themenwechsel bei Diskussionen sowie die lauten Neben-/ Hintergrundgeräusche in der Cafeteria (Geschirr-/Tablett- und Tassengeräusche). Hinzu kommt, dass nicht alle Mundbilder eindeutig zu erkennen sind. Manche Sprecher sitzen total ungünstig, sodass ich sie bzw. ihre Mundbilder nicht erkennen kann, andere verdecken ihren Mund beim Sprechen (durch eine abgestützte Hand, eine Tasse, das Pausenbrot) oder wenden mir ihr Profil zu.
Es kommt auch vor, dass ich irgendwann während der Unterhaltung ein Thema aufschnappe, dass mir bekannt vorkommt. Zuerst freue ich mich, denn ich könnte ja endlich einmal etwas dazu beitragen. Dennoch überlege ich: Soll ich mich an der Diskussion beteiligen oder (lieber doch) nicht? Soll ich meine Meinung äußern oder ruhig sein? Was ist, wenn ich doch nicht alles akustisch verstanden habe und dieser Kommentar vielleicht sogar schon vorab gesagt worden ist oder ich etwas sage, was gar nicht zum Thema passt? Das wäre total peinlich und noch bevor ich eine Entscheidung getroffen habe, ergreift jemand anderes das Wort und das Thema wird gewechselt. Mist, Chance vertan....
Also höre ich weiter zu. Im Laufe der Unterhaltung lässt meine Konzentration stark nach. Dementsprechend kann ich nicht mehr allen Gesprächsteilnehmern folgen und fühle mich zunehmend unsicherer. Deshalb halte ich mich meistens auch überwiegend aus Gruppendiskussionen heraus. Aber um trotzdem nicht völlig unbeteiligt zu sein, nicke ich manchmal oder schüttele den Kopf und lache mit, wenn die anderen es tun.
Dann gibt es auch mal diese Situation, wenn es auf einmal komplett ruhig in der Runde wird. Sofort frage ich mich: „Hat mich irgendjemand angesprochen, ohne dass ich es bemerkt habe?“ Ich schaue unauffällig in die Runde. Doch aus der Mimik der Gesprächsteilnehmer erkenne ich, dass mich niemand etwas gefragt hat. Puh, Glück gehabt! Zu oft habe ich mich schon geschämt, weil ich nicht bemerkt hatte, dass ich angesprochen wurde. Zu oft wurde ich deswegen schon (in der Vergangenheit) ausgelacht. (Hinweis zu meinem ersten Blog: Wie ich durch Gleichgesinnte wieder zu mir selbst fand).
Da die Stille anhält, erkenne ich, dass den anderen offenbar die Gesprächsthemen „ausgegangen sind“ und nach einem neuen Thema gesucht wird. Da ich mich bisher noch kaum an der Unterhaltung beteiligt habe, verspüre ich zunehmend den Druck, etwas sagen zu müssen und suche fieberhaft nach einem neuen Thema. Jetzt denke ich nicht nur über ein passendes Thema nach, sondern auch darüber, in welchem Thema ich mich besonders gut auskenne, damit ich bei eventuell auftretenden Fragen gut reagieren und antworten kann. Schlussendlich entscheide ich mich dafür, eine Person (meistens meinen Sitznachbar oder Gegenüber) anzusprechen. Die von mir befragte Person erzählt und erzählt und nach vielen Themenwechseln durch andere Sprecher treten auch hin und wieder Themen auf, zu denen ich theoretisch hätte viel beitragen können, trotzdem bleibe ich still.
Ständig verspüre ich den Drang, etwas zu sagen und den anderen zu zeigen, dass ich zu bestimmten Themen auch eine eigene Meinung habe und in der Lage bin, meine Meinung zu vertreten. Gerne möchte ich auch etwas Witziges sagen und zeigen, dass ich nicht „dumm“ und durchaus gesprächig und argumentativ sein kann. Doch die Angst, was nicht zu verstehen und ins „Fettnäpfchen“ zu treten, wie schon viele Male vorher in meinem Leben, ist größer als der Wunsch, sich in der Runde als gesprächig zu beweisen.
Aus diesen Gründen bin ich ehrlich gesagt, sehr froh, wenn die Runde sich auflöst und die „Pause“ vorbei ist. Deshalb verbringe ich die „Pausen“ gern manchmal allein oder nur mit ein oder zwei Personen bzw. nur an Orten, an denen nicht viel los ist. Das angestrengte Zuhören hat mich müde gemacht und ich spüre, wie meine Konzentration stark nachgelassen hat. Es gruselt mich, wenn ich an den langen Tag denke, der noch vor mir liegt, aber ich werde es schon irgendwie schaffen, so wie bisher auch.
Trotzdem, das gebe ich zu, werde ich vermutlich beim nächsten Mal in der großen Runde erneut dabei sein und erneut versuchen, Teil dieser Runde zu sein und dem Gespräch einigermaßen folgen zu können. Denn ich weiß, dass es wichtig ist, sich mit seinen Kommilitonen auszutauschen, da diese sozialen Kontakte einem irgendwann einmal von großer Bedeutung sein können. Außerdem kann man neue Leute kennenlernen, man erfährt die neusten und wichtigsten Informationen und ist quasi immer „auf dem neusten Stand“.
Ich hoffe, mir ist es einigermaßen gelungen, darzustellen, wie anstrengend solch eine „Pause“ für uns Hörgeschädigte sein kann, selbst wenn man es uns nicht unbedingt immer anmerkt.
Abschließend möchte ich noch einen kleinen Appell an Gleichgesinnte geben:
Eine Hörbeeinträchtigung ist eine unsichtbare Beeinträchtigung und nicht immer direkt von außen erkennbar. Diese Tatsache kann einer von vielen Gründen sein, weshalb einige Normalhörende nicht immer in der Lage sind, Rücksicht auf uns zu nehmen oder unsere Bedürfnisse hin und wieder vergessen oder aber aufgrund dieses Unwissens vielleicht auch nicht immer verständnisvoll reagieren, wenn man ständig nachfragt. Ein anderer Grund ist, sie wissen einfach nicht, dass unser Verstehen – trotz guter Technik – in Situationen wie diesen erschwert werden kann. Aus diesem Grund ist eine Aufklärung unsererseits von großer Bedeutung! Wir müssen in der Lage sein, ihnen immer wieder unsere Situation zu erklären und auf unsere Bedürfnisse aufmerksam machen, damit sie sich in unsere Lage hineinversetzen können und in der Zukunft eventuell besser auf uns Rücksicht nehmen können. Diese Vorgehensweise muss ich selbst noch lernen. Einen großen Schritt habe ich bereits im Studium getan: Vor Beginn eines neuen Semesters weise ich meine Professoren immer auf meine Hörbeeinträchtigung hin, schlage vor, wie diese die Kommunikationssituation im Unialltag verbessern können, aber gebe ihnen auch die Möglichkeit, eigene Ideen/Vorschläge miteinzubringen. Die meisten sind wirklich sehr dankbar, wenn man frühzeitig die Initiative ergreift und ihnen Bescheid gibt. Daraufhin sind einige sehr zuvorkommend und geben sich wirklich Mühe, die Kommunikation zu verbessern, z.B. indem meine Gruppe bei Gruppendiskussionen in deren Büro gehen darf oder ich die Folien zur Vor-/Nachbereitung schon etwas früher bekomme, als meine Kommilitonen. Andere Professoren wiederum muss man immer wieder erinnern, weil sie es hin und wieder vergessen. Ich weiß ja selbst aus eigener Erfahrung, dass dieses „ständige Erklären und darauf hinweisen“ Nerven kostet und man sich eigentlich immer wünscht, dass die anderen nach einer gewissen Zeit von selbst daran denken, aber wie sollen wir in bestimmten Situationen Verständnis seitens der anderen erwarten, wenn wir sie nicht vorher auf unsere Bedürfnisse aufmerksam machen?
Jetzt bin ich auch mal wieder am Schluss angekommen und sage
„Tschüss, und (hoffentlich!) bis zum nächsten Blog!“
Eure Julia
Dezember 2018