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Artikel in der Pharmazeutischen Zeitung

Hören am Ende der Stille

Cochlea-Implantat

von Dorothee Ott, Marburg

Wenn das Gehör schlechter wird, kann zumeist ein Hörgerät Abhilfe schaffen. Schreitet der Hörverlust aber weiter voran, kommen die Betroffenen der Taubheit immer näher – und damit wächst die Angst vor der Stille. Hier könnte ein Cochlea-Implantat helfen, mit dem schwerhörige und ertaubte Menschen Stimmen und Geräusche wieder verstehen und manche sogar wieder problemlos telefonieren können.

Für die meisten ist Hören selbstverständlich, nicht so für Michael Schwaninger, einen der rund 300.000 Menschen in Deutschland, die bis an Taubheit grenzend schwerhörig oder vollständig taub sind. Mit etwa 15 Jahren begann sich sein Hörvermögen zu verschlechtern – ohne erkennbare Ursache. „Meine Hörstörungen wurden mit der Zeit stärker, immer wieder neue Hörtests zeigten zwar den für eine Innenohrschädigung typischen fortschreitenden Hörverlust an – aber eine Lösung hatten die Ärzte nicht “, so Schwaninger.

Auf Defekten im Innenohr beruhende Hörstörungen werden auch als schallempfindungsbedingt bezeichnet. Experten grenzen sie von den schallleitungsbedingten Hörstörungen des Außen- und Mittelohres und den zentralen Hörstörungen, die ihre Ursache außerhalb des Ohrs haben, ab.

Die Cochlea - oder Schnecke - im Innenohr überträgt beim Hörvorgang die Schallschwingungen, die über Außen- und Mittelohr ins Innenohr dringen, über den Hörnerven ins Gehirn. Dabei wird die Innenohrflüssigkeit durch den Schall in Bewegung versetzt und mit ihr die circa 25.000 Haarzellen im Inneren der Schnecke. Dies löst elektrische Impulse aus, die ins Gehirn weitergeleitet und dort als akustisches Signal wahrgenommen werden.

Je nachdem, wie viele Haarzellen bei einer Innenohrschädigung funktionsunfähig sind, entsteht eine leichte oder mittelgradige Hörstörung bis hin zur vollständigen Taubheit. Herkömmliche Hörgeräte können nur bei leichten bis starken Formen der Innenohrschwerhörigkeit helfen. Menschen mit schwerem, hochgradigem oder totalem Hörverlust profitieren von herkömmlichen Hörhilfen hingegen meist nicht mehr. Bei ihnen ermöglichen selbst die stärksten Hörgeräte kein ausreichendes Sprachverständnis.

Angst vor dem Telefonieren

„Ich bin mit einem gewissen Grad an Restgehör im Tieftonbereich im Alltag noch halbwegs durchgekommen, aber vor dem Telefon hatte ich früher unglaubliche Angst“, erzählt Schwaninger. „Wenn im Büro das Telefon geklingelt hat, ist mir der Schweiß ausgebrochen.“ Von der Möglichkeit, sein Gehör durch ein Cochlea-Implantat wiederzuerlangen, hat er erst im Jahr 2001 erfahren - durch Eigeninitiative.

„Vielen HNO-Ärzten ist davon offenbar nichts bekannt. Das ist sehr schade, denn es gibt etwas jenseits der absoluten Stille, die ein Tauber erlebt“, sagt Schwaninger. „Von den rund 300.000 Betroffenen tragen nur 6000 ein Implantat.“ Dabei wird die Operationsmethode bereits seit mehr als 15 Jahren in einzelnen Zentren angewandt.

Das Cochlea-Implantat ist eine Prothese, die die Funktionen des Innenohrs ersetzen soll. Durch das Implantat wird der Hörnerv elektrisch stimuliert. Es ermöglicht damit tauben oder hochgradig schwerhörigen Menschen, akustische Signale wahrzunehmen.

Das Cochlea-Implantat besteht aus mehreren Teilen: dem Sprachprozessor, der heute überwiegend zusammen mit dem Mikrofon wie ein Hörgerät hinter dem Ohr getragen wird, der Sendeeinheit und dem Implantat selbst. Das Mikrofon nimmt die Schallschwingungen der Umgebung auf, wandelt sie in elektrische Signale um und leitet diese in den Sprachprozessor. Der Prozessor kodiert die eingehenden Signale und schickt sie daraufhin über ein circa fünf Zentimeter langes Kabel zum Sender am Kopf. Dieser übermittelt den Code an den unter die Haut implantierten Empfänger und stellt die Verbindung zum Kopfinneren her. Der Sender wird dabei durch Magnetkraft vom Empfänger am Kopf festgehalten.

Der Empfänger leitet die kodierten elektrischen Signale an ein implantiertes Elektrodenbündel weiter. Die Elektroden in der Schnecke übernehmen nun die Aufgabe der funktionsuntüchtigen Haarzellen, sie stimulieren den Hörnerv. Nach Weitergabe der Informationen an das Gehirn wird ein Hörempfinden ausgelöst, das allerdings beim Einzelnen sehr unterschiedlich sein kann.

Hören neu lernen

„Das Hören mit dem Implantat ist ein Entwicklungsprozess ähnlich wie bei einem Kind, das Sprechen und Hören lernt, Wortinhalte versteht und interpretiert“, sagt Schwaninger. „Am ersten Tag nach der Operation konnte ich Frauen- und Männerstimmen nicht voneinander unterscheiden. Nach zwei Wochen begannen sich Klänge langsam zu differenzieren, es entstanden Nuancen im Klangbild. Die roboterartigen, blechernen Stimmen verfeinerten sich Schritt für Schritt.“ Auch nach langer Zeit seien immer noch Verbesserungen feststellbar, freut sich Schwaninger, der inzwischen beidseitig Implantate trägt. „Mit dem zweiten Ohr ging es schneller, im Gehirn hatte sich scheinbar schon ein Weg gebahnt, um Höreindrücke zu verarbeiten“, vermutet er. Inzwischen kann er sogar wieder telefonieren. Angst vor einem klingelnden Telefon kennt er nicht mehr - im Gegenteil, er nutzt seine wiedergewonnene Freiheit intensiv.

„Aber nicht jeder kann nach einer Implantation wieder telefonieren“, schränkt er ein. Jemand, der zum Beispiel 30 bis 40 Jahre taub war und in der Kindheit keine richtigen Sprachmuster ausbilden konnte, werde wohl nie den gleichen Erfolg erreichen wie er. „Es handelt sich immer noch um ein künstliches Gehör, man hört nicht genauso wie früher, denn die Natur ist nicht kopierbar und ein Cochlea-Implantat ist kein Allheilmittel“, versucht Schwaninger überschießende Hoffnungen zu dämpfen. Das Implantat sei nach wie vor eine Art „Black Box“. Eine exakte Prognose zum Erfolg der Operation lasse sich nicht stellen, denn Ursachen, Wirkungen und Zusammenhänge müssten noch entschlüsselt werden. „Ein Implantat funktioniert bei dem einen so und beim anderen anders, man weiß aber nicht warum das so ist. Auch ist überhaupt nicht klar, ob 12 oder 20 Elektroden besser sind, denn mehr Elektroden oder mehr Impulse heißt nicht, dass sich das Hören verbessert“, verdeutlicht Schwaninger den Stand des Wissens.

Die Operation sei relativ unblutig. Es handele sich schließlich auch nicht um eine Hirnoperation, so dass der Wunsch wieder hören zu können, wesentlich höher wiege als eventuelle Ängste und Risiken. In der Vergangenheit ging die Operation mit einem, wenn auch geringen Meningitis-Risiko einher. Dies sei jedoch vor allem auf einen bestimmten, heute nicht mehr erhältlichen, Implantat-Typ zurückzuführen gewesen. Auch seien bei weltweit rund 60.000 Operationen nur circa 50 Meningitis-Fälle aufgetreten. Weitere mögliche, aber seltene Risiken der Operation seien eine Beeinträchtigung des Gesichtsnerven oder des Geschmacksnerven, die beide ebenfalls an der Operationsstelle verlaufen.

Nach erfolgreicher Implantation beginnt für den Patienten die medizinische Nachsorge zur Kontrolle der Wunde und die Phase der Feineinstellung des Gerätes, die inpiduell sehr unterschiedlich verlaufen kann. Schwaninger: „Es werden dabei sehr viele Parameter ausprobiert, um die Einstellungen zu optimieren. Man kann es am besten mit dem Suchen und Einstellen der Programme bei einem neuen Fernseher vergleichen.“

Hörtraining und Sprachtherapie sollen dem Patienten dabei helfen, Höreindrücke richtig zuzuordnen, wobei der Hörerfolg des Einzelnen im Wesentlichen vom Zeitpunkt und von der Dauer der Ertaubung abhängt. Im Gegensatz zu Erwachsenen, die ohne Gehör auf die Welt kamen, haben gehörlos geborene Kinder einen sehr großen Nutzen vom Cochlea-Implantat, vor allem wenn frühzeitig operiert wird. „Deshalb muss auch das Kinder- und Neugeborenen-Hörscreening vorangetrieben werden. Eines von tausend Kindern wird gehörlos geboren, und schon ab dem zwölften Lebensmonat können zwei Cochlea-Implantate eingesetzt werden. Die Schnecke hat bei der Geburt schon ihre Originalgröße“, weiß Schwaninger.

Um die Möglichkeiten des Cochlea-Implantats der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen engagiert sich Schwaninger ehrenamtlich im Cochlea-Implant-Verband Hessen/Rhein-Main, einem Regionalverband, der Deutschen Cochlear Implant Gesellschaft e.V., in deren Präsidium er im Mai 2003 gewählt wurde. Schwaninger: „Wir müssen die Informationen über das Implantat und seine Möglichkeiten weiter verbreiten. Die Menschen sollen wissen: Es gibt ein Ende der Stille.“ Weitere Informationen zu der Operationsmethode liefert die Internetseite www.ohrenseite.de oder Michael Schwaninger selbst Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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