Noch mehr Elektronik soll Innenohrprothesen verbessern
Neue Entwicklungen bei Cochlea-Implantaten
Von Mirko Smiljanic
Medizintechnik. - Cochlea-Implants sind elektronische Innenohrprothesen, die hochgradig Schwerhörigen und Tauben ein in Grenzen fast normales Hören ermöglichen. In Deutschland werden jährlich etwa 700 taub geborene Kinder mit dem System versorgt, die Zahl der Cochlea-Implant-Träger unter den spät Ertaubten steigt aber ständig. Das Cochlea-Implant funktionieren erstaunlich gut: Gehörlos geborene Kinder - das zeigen Untersuchungen - entwickeln sich wesentlich besser. Trotzdem lässt sich natürlich eine Menge verbessern.
Der kleine Stephan kann hören, gut sogar. Und er kann sprechen - so gut, dass er demnächst eine normale Grundschule besucht. Das war vor fünf Jahren keineswegs sicher, denn Stephan wurde taub geboren. Seine Eltern haben sich aber dafür eingesetzt, dass er ein Cochlea-lmplant bekommt, eine elektronische Innenohrprothese, die in Grenzen ein normales Hören ermöglicht.
Wenn Stephan etwas hört, klingt es für ihn wie eine metallische Roboterstimme mit verzerrten Tönen. Versuchspersonen der Fachhochschule Hannover sprechen auch von schlecht eingestellten Radiosendern. Cochlea-Implants bestehen aus zwei Teilen: Einem inneren und einem äußeren.
Außen haftet ein Sprachprozessor, das sieht aus wie ein kleines Hörgerät mit einem Kabel und einer Spule, welches auf der Kopfhaut haftet, magnetisch haftet, der Patient kann den Sprachprozessor abends wieder abnehmen und tagsüber haftet er ganz normal magnetisch auf der Kopfhaut, erläutert Jörg Oskopp von der Firma Cochlear in Hannover. Das elektrische Signal wird über die Spule zum lmplantat gefunkt, von dort leiten es dünne Drähte direkt ins Innenohr, Dabei hängt der Höreindruck von vielen Faktoren ab. Entscheidend ist dabei der Anteil an Störgeräuschen, im Hintergrund fahrende Autos etwa. Um Störgeräusche herauszufiltern, werden gleich mehrere Mikrofone in den Sprachprozessor eingebaut, die also schon, wenn ich Ihnen jetzt gegenüber stehe, Ihre Sprache bevorzugt behandeln als die Sprache von der Seite, die wird dann gedämpft. Aber sie haben auch die Möglichkeit mit dieser Chiptechnologie bestimmte Bereiche zu selektieren. So wird zum Beispiel das gesamte Sprachsignal in 22 Kanäle unterteilt und der Prozessor sorgt dann dafür, dass die Bereiche, die als Nutzschall selektiert werden, hervorgehoben werden und Störschall wird abgesenkt.
Bei diesem Verfahren können die Mediziner eine höheren Anzahl von Elektroden einsetzen, 18 etwa statt zwölf. Diese Methode hat deshalb auch eine gute Tonhöhenauflösung, was die Verständlichkeit der Sprache steigert. Noch bessere Resultate gäbe es, wenn grundsätzlich beide Ohren mit Cochlea-Imlantaten versorgt würden. Jörg Oskopp:
Bei Cochlea-Implantaten ist das gerade im Kommen, wo also Patienten, die auf der einen Seite versorgt werden, auch auf der anderen Seite nachversorgt werden, weil das auch gerade in extremen Hörsituationen am meisten bringt, weil dort ist die Richtcharakteristik wichtig, der Kopfschatten, und eine beidseitige Versorgung gewährleistet da ein optimales Hören.
Allerdings nur im Sprachbereich. Gar nicht gut klingt Musik. Der Rhythmus von Musik ist zwar erkennbar, das ästhetische Hörempfinden mit einem harmonischen Zusammenspiel von Grund- und Obertönen bleibt dabei aber auf der Strecke. Grund für den Missklang: Hörelektroden liefen die elektrischen Signale nur an einzelne Punkte, wahrend sie beim gesunden Ohr linear aufgefächert und selektiv wahrnehmbar sind. Keine schönen Aussichten für den heute fünfjährigen Stephan - aber: Er kann hören.
Medizin - Die Walddorfhäslacherin Yvonne Schweiker kann mit Hilfe des Cochlea-Implantats wieder hören
VON VEIT MÜLLER
WALDDORFHÄSLACH. Als sich ihre Mutter die Hände wusch, fragte die 14-jährige Yvonne plötzlich: »Mamma, was ist das?« Es war das Rauschen des Wassers. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte das nahezu taube Mädchen ein Geräusch wahrgenommen. Ärzte der Uni-Klinik Hannover hatten ihr nur wenige Wochen zuvor ein Cochlea-Implantat eingesetzt und ihr so ein völlig neues Leben ermöglicht.
Das war im April 1993. Heute, zwölf Jahre später, führt die Walddorfhäslacherin ein fast normales Leben. Das Implantat hat ihr zwar nicht die volle Hörfähigkeit zurückgebracht, doch es sichert ihr eine weitgehende Selbstständigkeit. Sie hat einen Beruf erlernt, arbeitet als Chemie-Laborantin in Tübingen und fährt Auto.
Doch es war ein langer Weg dorthin. Woher Yvonne Schweikers Schwerhörigkeit kam, weiß bis heute niemand. Ob sie schon von Geburt an fast taub war oder ob sie in den ersten Monaten ihres Lebens ihre Hörfähigkeit durch eine Krankheit verloren hat, konnte kein Arzt herausfinden.
Hochgradig schwerhörig
Ihre Eltern merkten erst zwei Jahre nach Yvonnes Geburt, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmt. Zuvor hatten sämtliche Vorsorgeuntersuchungen nichts ergeben, erst an der Tübinger Uni-Klinik stellten die Mediziner fest, das Kind ist hochgradig schwerhörig (»an Taubheit grenzend«), wie ihre Mutter Erika Schweiker erzählt.
Yvonne bekam damals zwei Hörgeräte, doch die halfen nicht viel weiter. Sie ging in den Schwerhörigen-Kindergarten in Nürtingen, dort auch in die Johannes-Wagner-Schule, die Hörgeschädigte sprachlich fördert, wo sie ihren Hauptschulabschluss machte.
Schon während ihrer Schulzeit, als Yvonne zwölf Jahre alt war, machte ihr Hausarzt die Familie auf das Cochlea-Implantat aufmerksam. Damals wie heute ist die HNO-Klinik der medizinischen Hochschule in Hannover das weltweit führende Zentrum für diese Operationen. Die Schweikers entschlossen sich nach längeren Gesprächen mit den Spezialisten für diesen Eingriff.
Bei der Implantation werden hauchdünne Elektrofäden, bei Yvonne waren es 22, in die Gehörschnecke gelegt und mit einem Mikrocomputer verbunden, der zusammen mit einem Magnet in den Schädelknochen eingefräst wird. Die Implantate, nach dem medizinischen Begriff für die Innenohrschnecke, Cochlea benannt, ersetzen die Funktion der Hörsinneszellen: Sie nehmen den Schall über ein Mikrophon auf, das hinter dem Ohr angebracht ist, setzen ihn in eine Abfolge von elektrischen Impulsen um und geben diese über eine Elektrode auf die Hörnervenfasern weiter.
»Es war schon ein tolles Erlebnis«, beschreibt Erika Schweiker den Augenblick, als ihre Tochter nach der Operation zum ersten Mal etwas hören konnte. Doch mit dem Eingriff war längst nicht alles vorbei. »Yvonne musste hinterher viel mithelfen«, berichtet Erika Schweiker. Nur durch ein regelmäßiges Hörtraining schaffte ihre Tochter es, mit dem Sprachprozessor hinterm Ohr umzugehen.
In kleinen Schritten ging es voran. Zu Hause hörte sie zum ersten Mal Vogelgezwitscher. Sie lernte mehr und mehr, einzelne Töne zu unterscheiden. Inzwischen kann sie auch mit ihr bekannten Menschen telefonieren. Yvonne schaffte schließlich die Mittlere Reife und lernte Chemielaborantin, ein Beruf, der ihr sehr viel Spaß macht. (GEA)